Frankreich in Afrika
Eine (Neo)Kolonialmacht in der Europäischen Union zu Anfang des 21. Jahrhundert
Kurztext
Bernhard Schmids neues Buch vermittelt ein detailliertes Bild von Frankreichs postkolonialem Einfluss in Afrika. Unter anderem geht es den aktuellen Fragestellungen nach, welche Rolle die »Mittelmeerunion« spielt, die von Präsident Sarkozy als Kern eines neuen »EurAfrika« bezeichnet wurde, und wie das offizielle Frankreich mit dem Vorwurf umgeht, 1994 in Rwanda den Völkermord begünstigt, gefördert und unterstützt zu haben.
Darüber hinaus beleuchtet Bernhard Schmid den Einfluss der neuen Akteure China und USA auf den Kontinent, die innere Verfasstheit der afrikanischen Staaten sowie die dort vorherrschende Rentiersökonomie.
Aus der Einleitung
Es war zwar nicht die Ankunft des neuen Messias; wohl aber wurde die jüngste Wahl von Barack Obama zum 44. Präsidenten der USA in Teilen der afrikanischen Bevölkerungen zumindest so ähnlich aufgenommen. Die Tatsache, dass zum ersten Mal ein Schwarzer an der Spitze der bislang noch – jedenfalls auf militärischer Ebene – stärksten Macht des »Westens« respektive des »Nordens« steht, dürfte dazu beitragen, dass in den kommenden Jahren die Karten nochmals neu gemischt werden. Schon in den letzten 15 Jahren tobt ein heftiger, mit politischen und ökonomischen, seltener mit militärischen Mitteln ausgetragener Kampf um eine Neuverteilung der Einflusszonen der führenden Großmächte in Afrika.
Bis zum Ende des Kalten Krieges waren breite Teile Nord-, West- und Zentralafrikas (zuzüglich Madagaskar) als postkolonialer »Hinterhof« zum festen Bestandteil der Einflusssphäre Frankreichs gerechnet worden. Heute muss die Pariser Politik sich bemühen, ihren Einfluss beizubehalten, während neue Akteure auf dem Kontinent Fuß zu fassen versuchen. Zu ihnen zählen die USA, die seit der Clinton-Ära in wachsendem Ausmaß Sympathiewerbung in den afrikanischen Ländern betreiben. In den letzten Jahren hatten sie allerdings Mühe dabei, diese auch in wachsenden Einfluss umzusetzen und das negative Image der USA in der Bush-Ära lähmte ihren Vormarsch. So fand Washington im Jahr 2008 kein Aufnahmeland für sein militärisches Regionalkommando AFRICOM, das letztendlich in Stuttgart beim dortigen NATO-Hauptquartier angesiedelt wird. Zu einem weiteren wichtigen Akteur hat sich China entwickelt, das jedenfalls ökonomisch sehr präsent ist.
Was aber ist mit Frankreich? Ist der Einfluss der früher im Nord- und Westteil des Kontinents dominanten Neokolonialmacht aufgrund dieser neuen geopolitischen Rivalitäten nunmehr passé? Dieses Buch versucht, ein detailliertes Bild über die Rolle des postkolonialen Einfluss Frankreichs zu vermitteln. Welcher Einfluss ist ihm verblieben? Wie glaubwürdig ist das Versprechen, das Präsident Nicolas Sarkozy Ende Februar 2008 vor dem südafrikanischen Parlament am Kap abgab, als er einen militärischen Rückzug Frankreichs vom Kontinent in Aussicht stellte? Was ist von der Ankündigung eines »Bruchs« mit vergangenen Praktiken Frankreichs in Afrika – zu denen etwa auch die verdeckte Führung »schmutziger Kriege« zählt – durch den damaligen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy zu halten? Mit welcher Philosophie, die in seiner berühmten »Rede von Dakar« vom 26. Juli 2007 zum Ausdruck kam, begegnet der neue französische Staatschef dem afrikanischen Kontinent? Und welche Rolle bei der Neudefinition des französischen Einflusses spielt—nicht zuletzt—die politische und seit kurzem jetzt auch juristische Auseinandersetzung um die Unterstützung, die die französische Politik dem damaligen Regime Rwandas während des Völkermords in dem Land 1994 zukommen ließ?
Die meisten ehemals von Frankreich kolonisierten Länder des afrikanischen Kontinents feierten soeben (im Falle Guineas, im Oktober 2008) oder feiern demnächst – das ganze Jahr 2010 hindurch – den fünfzigsten Jahrestag ihrer formalen staatlichen Unabhängigkeit. Fast alle diese Länder haben seitdem den Weg aus der Unterentwicklung und strukturellen Abhängigkeit nicht geschafft. In mehreren dieser Staaten amtierten bislang nur maximal zwei Staatsoberhäupter seit der Unabhängigkeit (Gabun, Kamerun, Guinea), die – mit einer Ausnahme, jener der Republik Guinea, deren »Unabhängigkeitsexperiment« aber zunächst ein böses Ende nahm – oft unmittelbar von Frankreich ausgesucht und bestimmt worden sind. Militärische »Beistandsverträge«, deren Inhalt bislang geheime Klauseln enthält und selbst den Abgeordneten im französischen Parlament nicht in Gänze bekannt ist, binden mehrere dieser Regimes an die frühere Kolonialmacht.
Im Kontext einer Rentiersökonomie, die auf dem Abbau respektive Raub von Rohstoffen und dem Ausbleiben jeglicher eigenständiger wirtschaftlicher Entwicklung beruht, halten sich kleine Gruppen an der Macht, die jeweils ein klientelistisch funktionierendes Netzwerk versorgen und dabei oft eine »ethnische« Gruppe bevorzugen. Dies schafft wiederum die Grundlagen für »ethnisierte«, rassistisch aufgeladene Konflikte, wie der Bürgerkrieg in der Côte d’Ivoire (2001 bis 2007) und vor allem die Katastrophe in Rwanda belegen.
Was ist nun von dieser, nach der formalen Unabhängigkeit der betroffenen Länder bruchlos weiterverfolgten, neokolonialen Politik übrig geblieben? Was hat sich daran verändert, wo musste Frankreich zurückstecken und einen – formalen oder grundlegenden – Wandel in seiner Strategie vollziehen? Welche Rolle spielt die »Mittelmeerunion«, jene neue Struktur unter Einschluss der Europäischen Union, die (als neues Lieblingskind der französischen Politik) offiziell am 13. Juli 2008 gegründet und von Präsident Sarkozy als Kern eines neuen »EurAfrika« bezeichnet worden ist? Und wie geht das offizielle Frankreich mit dem Vorwurf um, 1994 in Rwanda den letzten Völkermord des 20. Jahrhunderts begünstigt, gefördert und unterstützt zu haben?
Bernhard Schmid, geboren 1971, seit fünfzehn Jahren in Paris lebend, Dr. iur., Jurist bei einer antirassistischen Organisation, nebenberuflich freier Journalist und Autor mehrerer Bücher, darunter »Algerien—Frontstaat im globalen Krieg?«, »Das koloniale Algerien« und »Der Krieg und die Kritiker«.
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